
Die sterblichen Überreste von deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs werden weiterhin, wie hier 2010, auf den Friedhof in Ysselsteyn umgebettet. Foto: EPA/Marcel van Hoor
Während jedes Jahr bei der Feierstunde am 20. Juli im Berliner Bendler-Block, dem ehemaligen Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht, ein Vertreter der Bundesregierung – diesmal Außenminister Heiko Maas – der mutigen Frauen und Männer des 20. Juli 1944 gedenkt, zeigt die Bundeswehr an einem weniger bekannten Ort, welches Traditionsverständnis sie in Wirklichkeit pflegt. Im Rahmen einer »sportlichen Veranstaltung« der NATO, einem Vier-Tages-Marsch nach Nimwegen (Nijmegen) in den Niederlanden, nutzten die deutschen Einheiten erneut die Gelegenheit, am Vortag der Erinnerung an die Hitlerattentäter um Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf dem größten Soldatenfriedhof der Niederlande, in Ysselsteyn, der dort in den letzten Kriegswochen verstorbenen Kameraden zu gedenken.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn man ignoriert, wer zu den dort liegenden 31 000 Toten gehört. Natürlich sind es vor allem Wehrmachtssoldaten, die bis Fünf nach Zwölf auch in den Niederlanden für den »Endsieg« gekämpft hatten. Aber auch etwa 5000 SS-Angehörige, die an zahllosen Kriegsverbrechen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden beteiligt waren. Ebenso über 500 Niederländer, die als Kriegsfreiwillige an der Seite der faschistischen Truppen kämpften oder als Funktionäre der Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland (NSB) direkt an der Deportation von jüdischen Menschen aus den Niederlanden in die Vernichtungslager beteiligt waren.
Seit Jahren gedenkt die Bundeswehr auf diesem Friedhof »ihrer Toten«. Und dass dies ein offizielles Gedenken ist, zeigte die Teilnahme hochrangiger deutscher Militärs, oft auch von Vertretern aus dem Bundesverteidigungsministerium. In diesem Jahr war es Brigadegeneral Torsten Gersdorf, Chef des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen. In einem Interview versuchte er die Präsenz der Bundeswehr auf dem Friedhof von Ysselsteyn mit dem Hinweis zu rechtfertigen, es gehe doch nur um eine Ehrung aller Toten des Zweiten Weltkrieges.
Dass sich die Bundeswehr diesmal rechtfertigen musste, ist das Ergebnis beharrlicher Proteste der niederländischen antifaschistischen Vereinigung AfvN, die seit Jahren auf diese skandalöse Gedenkpolitik hinweist und Beispiele der Verherrlichung der Wehrmachtsoldaten präsentierte. So marschierten 2013 deutsche und niederländische Neonazis mit Hakenkreuzfahnen und einer schwarzen Fahne mit SS-Runen auf dem Gräberfeld auf. Im Juli vergangenen Jahres wurde von der Bundeswehr sogar ein Feldgottesdienst auf dem Friedhof zelebriert, was nun wirklich nichts mit einem stillen Gedenken zu tun hat. Außerdem weisen die niederländischen Antifaschisten darauf hin, dass Ysselsteyn auch ein Anknüpfungspunkt ist für niederländische »Wehrmachts-Fans« ist, von denen sich allein 18 000 in einer niederländischen Facebook-Gruppe zusammengeschlossen haben.
In Schreiben an die Bundesverteidigungsministerin Ursula van der Leyen sowie an deutsche Medien appellierten die niederländischen Antifaschisten – unterstützt von der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) –, das unselige Gedenken endgültig einzustellen. Beate Klarsfeld und ihr Mann Serge, Präsident der Organisation »Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich«, wandten sich in einem persönlichen Brief an von der Leyen. Sie betonten: »Es wäre ein schwerer Fehler …, eine kollektive und offizielle Ehrung vorzunehmen für diese SS-Angehörigen und Soldaten sowie ihre Komplizen, die hier auch begraben liegen und unter denen einige an der Deportation der 100 000 holländischer Juden beteiligt waren. Wir rechnen mit ihrem Sinn für Verantwortung und Moral und hoffen, dass Sie den Mut finden ›Nein‹ zu sagen.«
Es ist bezeichnend für die Haltung der Bundesregierung, dass weder die AfvN noch die Klarsfelds bislang eine Antwort auf ihre Briefe erhielten. Stattdessen setzte man in diesem Jahr mit der Ehrung erneut ein Zeichen, das den wahren Geist des »Traditionserlasses« der Bundeswehr klarer beschreibt, als alle salbungsvollen Erklärungen.
In diesem Jahr reagierte allerdings die niederländische Presse kritischer auf das Gedenken. Die größte Tageszeitung, das »Algemeen Dagblad«, ließ ausführlich auch die AfvN zu Wort kommen, das niederländische Fernsehen berichtete von der Kranzniederlegung und ebenfalls über die Proteste der AfvN. Auf deren Website findet man einen ausführlichen, aufschlussreichen Bericht, der die Geschichte des Gräberfeldes kritisch aufbereitet. Es ist bemerkenswert, dass diesmal auch die antifaschistische Geschichtsperspektive Gehör gefunden hat. Bleibt zu hoffen, dass dem revanchistischem Spuk in den Niederlanden von Seiten der Bundesregierung ein für allemal ein Ende bereitet wird.

foto: Wikipedia
Der Kasseler Historiker Dr. Ulrich Schneider ist Generalsekretär der Fédération Internationale des Résistants (FIR), der internationale Dachorganisation von Verbänden antifaschistischer Widerstandskämpfer. Neues Deutschland, 20.Juli 2018, S. 3
Kameradschaftliche Grüße
Ulrich