Mitgekommen aus Holland und neben mir steht Hein van Kasbergen, Sekretär des Anti-Fascistisch Verzet Nederland / Bond van Antifacisten. Diese AFVN ist damals von kommunistischen Widerstandskämpfern gegründet worden und ist Mitglied der Fédération Internationale des Résistants — FIR.
Meine Name ist Ewout van der Hoog. Ich komme ebenfalls aus den Niederlanden, aus Amsterdam, und bin Sekretär des Comité van Waakzaamheid tegen Herlevend Fascisme.
Zusammen haben wir diesen Text überlegt. Ich werde fünfzehn Minuten sprechen.
Fünfzehn Emslandlager, fünfzehn Überdenkungen
1. Grabschrift
Stille ruhn oben die Sterne — und unten die Gräber.
Doch rufen von drüben
die Stimmen der Geister, die Stimmen der Meister
Versäumt nicht, zu üben die Kräfte des Guten.
Hier winden sich Kronen in ewiger Stille,
die sollen mit Fülle die Tätigen lohnen!
Wir heissen euch hoffen.
Ein positiver Zukunftsschimmer. Passt das noch in die heutige Zeit?
Ja. Wie zu Zeiten von Goethe. Und wir stehen nun hier.
2. Gedenken
Wir gedenken heute die zehntausenden Opfer der NS-Zeit in diesen fünfzehn Emslandlagern, zwischen 1933 und 1945.
Zuerst wurden hier die Kommunisten inhaftiert, später die Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Eine bedeutungsvolle Abfolge. Das spührte auch Martin Niemöller.
Und am Ende die Kriegsgefangenen. Meistens russische Opfer.
Diejenigen die den Lebensweg vor uns vollendet haben, so interpretiere ich Goethe, rufen uns zu: wir sollen nicht nachlassen, ein moralisch anspruchsvolles Leben zu führen.
Die nachfolgenden Generationen, die von Diktatur befreit sind, sollen die vorangegangenen dafür belohnen.
3. Wachsam sein
In unseres Comité van Waakzaamheid sind, nicht zufällig, auch Kommunisten. Aber wir brauchen viele Freunde. Unsere Mitglieder sind oft in den Gewerkschaften, der Friedensbewegung, in Universitäten und in Kirchen tätig.
Schon in die dreissiger Jahren gab es in Holland ein Comité van Waakzaamheid. Vor allem die Kommunisten in diesem Comité waren gut informiert — durch die nach Holland gekommenen KPD-Mitglieder. Zusammen mit diesen Kameraden haben wir uns organisiert, gekämpft — zum Beispiel für die Spanische Republik — und gearbeitet in der Internationalen Rote Hilfe.
4. Antifaschisten
Die niederländische AFVN/BvA arbeitet unter anderen mit dem internationalen Dachaukomitee und mit der deutschen VVN/BdA zusammen.
Wenn nötig, auch in den Niederlanden.
In 2008 haben wir uns gemeinsam gewehrt gegen die Ehrung und den Auftritt des Sangers und NS-Freundes Johannes Heesters. Im Krieg hat dieser Heesters aufgetreten in dem KZ Dauchau und selbst für dem Führer.
In 2013 haben wir uns gemeinsam gewehrt in Vorden, nicht weit von unsere Grenze. Dort hat der Oberbürgermeister auf dem Friedhof Wehrmachtsoldaten gedenken wollen.
Ziel der niederländische AFVN ist die Signalisierung des Neofaschismus und der Kampf dagegen; der Kampf für Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern; und der Kampf gegen jede Form von Diskriminierung.
5. Häftlinge
Gerade in der NS-Zeit hat es Diskriminierung in vielfältiger Weise gegeben. Das heisst, man hat hiërarchische Unterschiede gemacht.
Unter den Häftlingen in Esterwegen und in den anderen Emslandlagern waren politisch organisierte Gegner —
inhaftiert und ermordet, weil sie taten, was sie taten.
Darüber hinaus gab es zum Beispiel die Zeugen Jehovas und Homosexuelle —
inhaftiert und ermordet, weil sie waren, was sie waren.
Und schliesslich gab es militärische Gegner. Zwischen 1939 und 1941 starben in den neun südlichen Emslandlagern 14.000 bis 26.000 inhaftierte Sowjet-Soldaten durch Misshandlung, Unternährung, Krankheit und Kälte.
Der SS hat diese Lager zunächst gut dokumentiert.
Jedoch, ab 1941 die Zahl der ermordeten Russen nicht länger administriert — weil diese “doch nur Untermenschen waren”.
6. Diskriminierung
Die Faschisten haben Minderheiten dämonisiert, isoliert und getötet.
Wir sehen hier eine raffinierte Strategie, indem man das Volk mit Hilfe eines Feindbildes erst entzweit, um es danach hinter falschen Fahnen erneut zu vereinigen.
Mit nationalistischer und mit sozialer Demagogie — also mit Fahnen in den Farben weiss und rot.
Doch hierbei handelt es sich nur um oberflächliche Phänomäne. Der wirkliche materielle Hintergrund des Faschismus liegt indess tiefer.
7. Vernichtung
Der Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Der Faschismus hat zum Ziel, die Organisationen der Arbeiterklasse zu vernichten, alle progressive Kräfte zu würgen en nach aussen den Eroberungskrieg für die Weltherrschaft vorzubereiten und zu entfesseln. Um diese Ziele zu erreichen, bedient der Faschismus sich der sozialen Demagogie und der Terrormethoden.
Schreibt Dimitroff 1935.
8. Arbeiterklasse
Georgi Dimitroff hat gesprochen, geschrieben und viel gelesen – von Marx’ „Kritik der politischen Ökonomie“ bis zu Lenins „Imperialismus als (neue, nächste) höchste Etape des Kapitalismus“.
Zu selber Zeit werden in den Emslandlagern und in Esterwegen, nicht zufällig, zuerst die prinzipiellsten Gegner des Faschismus inhaftiert.
Hier mussten die Organisatoren der Arbeiterklasse vernichtet werden, mit Terrormethoden wie Sklavenarbeit im Moor.
Zuerst diejenigen, die einen politischen Klassenkampf gegen den ökonomischen Kapitalismus verbunden haben mit praktische internationaler Solidarität gegen den militaristischen Imperialismus.
9. Zusammen
Was bedeutet es dass hier in Esterwegen nicht nur Kommunisten sondern danach auch Sozialdemokraten, und Gläubige und Homosexuelle, sowie ein Friedens-Nobelpreisträger wie Carl von Ossietzky inhaftiert und ermordet wurden?
Dass in Esterwegen die Gegner des Kapitalismus zusammengebracht wurden mit den Opfern von Diskriminierung und mit Kriegsgegnern — bedeutet dass der Kampf der Arbeiterklasse direkt verbunden ist mit dem Kampf für Frieden und dem Kampf gegen jede Form von Diskriminierung.
10. Tag der Arbeiterklasse
Ein aktuelles Beispiel aus Holland. Am 1. Mai dieses Jahres, am Tag der Arbeiterklasse, hat die niederländische Gewerkschaft eine Demonstration organisiert mit ökonomischen Forderungen — für gute Arbeit, einen guten Lohn, gute Pensionen, gute Pflege, gute Schulen.
Doch Arbeit allein genügt nicht. Wir brauchen auch Frieden — Mir.
Mir, Trud, Mai.
Wir kämpfen gegen eine herrschende Klasse, die mit unseren Steuern Kriegen entfacht, einfache Menschen vernichtet, deren Rohstoffe plündert und die Überlebenden ausbeutet.
Und wir kämpfen gegen rechte Kriegshetzer und deren Feindbild, als ob alle Muslime oder alle Russen unsere Feinde seien. Jedoch, warum sind die Öl-Sheiks und Gas-Oligarchen mit ihren Investitionen hier willkommen, und die armen Flüchtlinge dieser Kriege nicht?
11. Forderungen
Darum haben wir am 1. Mai extra Transparente mitgebracht mit zwei extra Forderungen: für eine Welt ohne imperialistische Kriege und eine Welt ohne Diskriminierung. Tausende demonstrierende Arbeiter haben unsere Flugblätter angenommen und unsere Parolen mitgeschrien.
Aber mit dem Gewerkschafts-Ordnungsdienst gab es Diskussionen.
Gegen Krieg? Aber wir brauchen ein Heer … gegen Erdogan!
Gegen Diskriminierung? Aber zwanzig Prozent unserer Gewerkschafts-Mitglieder wählen die extreme Rechte!
Doch gerade deswegen dürfen wir nicht schweigen oder wegschauen. Wir sollten mutig unsere Forderungen einbringen, speziell in den Gewerkschaften unter unsere Kollegen, und nicht extrem Rechts die Initiative lassen. Damit belohnen wir zugleich am besten die mutigen Tätigen, die Opfer von damals in den Emslandlagern.
12. Flüchtlinge
Auch damals, in den Dreissiger Jahren, gab es Flüchtlinge — politische, ökonomische, gläubige Flüchtlinge und so weiter. Diese Kategorien haben die Flüchtlinge selbst so nicht benannt, sondern die NS-Behörden. Denn die wollten alle gleichschalten und doch unterscheiden, so wie die Inhaftierten im Lager alle eine Dreieck auf der Kleidung tragen sollten, doch in unterschiedlichen Farben.
Es gab 33-45 Fluchtwege entlang der Dollard-Route. Gerade letzter Woche wurden drei neuen Gedenktafeln enthüllt, mit Informationen über diese Fluchtwege — in Bad Nieuweschans, Kanalpolder (Buttje Pad in Bunde) und Petkum (Petkumer Hafen). Dabei wurde auch gewarnt vor dem aufkeimenden Rechts-populismus in Deutschland, in die Niederlanden und in fast ganz Europa.
Die Jagd auf Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter begann nach dem Reichstagsbrand. Allein in der Nacht dieses Brandes wurden 10.000 Leute aus den Arbeiterparteien festgenommen.
Vor allem die Funktionäre mussten schnell ins Ausland fliehen.
Die Flucht wurde hauptsächlich durch die Internationale Rote Hilfe und KPD Emden organisiert; unterstützt durch niederländische Helferinnen und Helfer, vor allem aus der CPN (KP der Niederlanden).
Mit Gefahr für eigenes Leben.
Die Verfolgte, aus vornehmlich Norddeutschland, waren Ortsunkundig und brauchten Hilfe bei ihrem illegalen Grenzübertritt.
Lassen wir uns heute nicht durch Diskussionen über Kategorien der besseren oder schlimmeren Flüchtlinge auseinander dividieren. Die guten Jezidis gegen die schlimmen Glücksucher. Ich habe gesehen wie am 1. Mai die Flüchtlingen aus Syrien, Kurdistan und Afrika mitgemacht haben — und ihre Einheit sollte ein Vorbild für uns sein.
Wir haben einen einzigen gemeinsamen Hauptfeind — der alle diese Kriege und deren Folgen organisiert — und gerade darum einigen wir uns in Solidarität.
13. Vorwärts
Die bürgerlichen Autoritäten in Deutschland und andere europäische Staaten haben damals den Aufschwung des Faschismus nicht oder unzulänglich bekämpft. Die niederländische Regierung hat deutsche Flüchtlingen zurückgeschickt, weil der Führer als ein befreundetes Staatsoberhaupt galt.
In den Emslandlagern verblieben darum Gefangenen aus vielen Staaten, wie Widerstandskämpfer aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden.
Heute arbeitet die europäische Bourgeoisie aus verschiedenen Staaten mehr zusammen als je zuvor — politisch, ökonomisch und militärisch. Es gibt in jeden Staat ein Kontinuum von dieser Bourgeoisie zu diese extremen Rechtspopulisten bis zu Neo-Nazis.
Mit mehr Vaterland und mehr nationalistischer Maskerade als je zuvor.
Dagegen werden wir mit Wort und Tat kämpfen, über alle Grenzen hinweg. Denn die Arbeiter haben kein Vaterland!
14. Nicht vergessen
Das Kriegsende liegt 73 Jahren hinter uns.
Vor drei Jahren hab ich einen Monat lang in Moskau mit meiner, in die Sowjetunion geborene Ehefrau verbracht. Das war rund Djeen Pobedi, der Befreiungs-und-Trauertag am 9. Mai. Jeden Abend gab es im Fernsehen politische Aufklärung über Faschismus und den antifaschistischen Krieg.
Der 9. Mai ist einer antifaschistischer Tag mit einer halben Million Russen auf der Tverskaja Strasse. Sie tragen hunderttausende Portraits von Kriegsopfern in schwarz-weiss mit.
Von 24 Millionen Opfern hat man dort keinen vergessen.
In IJsselstein, Holland, ist das leider anders. Da bringt die deutsche Bundeswehr jedes Jahr einen Blumenkranz zum deutschem Kriegsfriedhof, mit 24.000 Wehrmachtsoldaten und 6.000 SS-Soldaten.
Hier verwechselt die Bundeswehr Opfer mit Tätern!
Man sollte diesen Kriegsfriedhof zur Natur zurückschenken.
Dieses Jahr haben die holländische Antifaschisten der AFVN/BvA den Blumenkranz der Bundeswehr weggenommen und zum letzten Ruheplatz von Widerstandkämpfern gebracht.
Diese Kämpfer werden wir nie vergessen.
15. Solidarität, zum Schluss
Wohin auch das Auge blicket
Moor und Heide nur ringsum
Vogelsang uns nicht erquicket
Eichen stehen kahl und krumm
Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten ins Moor.
Vorwärts! Und nicht vergessen: die Solidarität!